Ab nach Algerien – rheinländische Auswanderer im 19. Jahrhundert

Blick über die Stadt Algier © A.B.
Blick über die Stadt Algier © A.B.

Armut, Misernten, Schulden, zu harte Lebensbedingungen und schließlich die Hoffnung auf ein besseres Leben haben im 19. Jahrhundert Hunderttausende von meist armen Menschen in die Transatlantikliner getrieben. Jeder kennt die Formeln vom „american dream“ und „Go West !“ und den kultischen ersten Blick auf die Freiheitsstatue, der allerdings erst ab Herbst 1886 möglich war, dem Datum der Einweihung der Statue durch den amerikanischen Präsidenten Grover Cleveland. Weniger bekannt ist, daß viele Menschen nicht den Atlantik, sondern das Mittelmeer überquerten, mit dem Ziel, sich in weitaus weniger fernen Gefilden auzusiedeln, wie zum Beispiel im damals französischen Algerien.

Die Kolonie Algerien „wants you !“

Die französische Kolonialmacht hatte es sich seit der Zweiten Republik und in den ersten Jahren des Kaiserreichs Napoléons III zum Ziel gesetzt, eine offizielle Besiedlungspoltik in Gang zu setzen. Seit der französischen Eroberung Algeriens im Jahre 1830 hatte eine erste Siedlungswelle begonnen, die auf Privatinitiativen gegründet war und abrupt und blutig mit dem Krieg mit Abd el-Kader endete. Ein erster Versuch einer offiziellen Kolonisationspolitik war die Ende 1848 gesetzlich verabschiedete Gründung landwirtschaftlicher Kolonien und die dortige Ansiedlung arbeitsloser französischer Arbeiter. Etwa 20 000 Menschen überquerten das Mittelmeer und besiedelten die 42 neu gegründeten Dörfer. Dieser erste Versuch war wenig erfolgreich : zwei Jahre später hatte sich die Zahl der Siedler durch Krankheiten und Rückkehrer schon halbiert. Trotz diesen Rückschlages ging die Gründung neuer Ansiedlungen zwischen 1853 und 1859 stetig weiter.  Graf Randon, seit 1851 Gouverneur Algeriens, brauchte daher mehr Siedler für „seine“ Kolonie Algerien und aktivierte die Auswanderungspropaganda in der Schweiz, in Belgien und in Deutschland, besonders in Sachsen und im Rheinland. Josef Mergen hat 1973 über die Eifelauswanderer im 19. Jhd. – vor allem nach Amerika – geschrieben, aber auch Algerien erwähnt. Über den Umfang der Auswanderungen schreibt Mergen :

In der Zeit von (…) 1847 : insgesamt 38 Personen, davon (…) 22 nach Algerien. (…) Die Algerien-Auswanderer von 1847 verteilen sich auf verschiedene Orte des Amtes (i.e. Binsfeld). Es stellen Landscheid: 5 Personen, Burg: 7, Arenrath: 5 und Spangdahlem 5 Personen. Diese waren ohne Consens ausgewandert.“ (Heimatjahrbucharchiv Landkreis Vulkaneifel, 1973, S. 99 ff.)

Wie stellen sich nun die motivierten französischen Kolonisatoren den idealen Kandidaten vor ? Eine „Circulaire“, auf Deutsch ein Rundschreiben, die vom französischen Innenministerium nach Berlin zur Weitergaben an die Bezirksverwaltungen geschickt wurde, ordnet diese vom Investiteur mit (gehörig) Anlagekapazitäten über Pächter bis zu Tagelöhnern und Arbeitern – all‘ das gesund natürlich, und bitte ohne kleine, teure Kinder unter Zwölf. Die Überfahrt der Kolonisten nach Algier ist gratis – „un grand merci“ an das französische Kriegsministerium. Zwischen 1842 und 1860 wanderten laut Mergen (1980) insgesamt 385 Personen, wohnhaft im Regierungsbezirk Trier, nach Algerien aus. Das Rekordjahr war 1846-47 mit 167 Auswanderungswilligen. Die Propagandaerfolge – oder Mißerfolge – des Grafen Randon erscheinen nicht ; seltsamerweise sind die Jahre zwischen 1849 und 1855 bei Mergen ausgelassen (fehlendes Quellenmaterial ?).

In Algerien Franzose werden

Wo sind nun die Müllers, Friedrichs und Schmidts aus Deutschland hingekommen, von denen im Jahre 1880 laut Katholischen Wochenblatts (Chicago) 5722 in Algerien lebten ? Ganz einfach : 4466 von ihnen sind französische Staatsbürger geworden, besonders nach dem deutsch-französischen Krieg 1870-71. Die Deutschen sind damit die kleinste Einwanderungsgruppe mit der höchsten Naturalisationsquote. In seinem „Eifelsöhne wandern nach Algerien aus“ genannten Artikel zieht Mergen das folgende Fazit :

Das Deutschtum hat sich in Algerien nicht halten können, und ebenso ist jede Erinnerung an diesen Vorgang aus dem Bewußtsein der heimischen Bevölkerung geschwunden. Bemerkenswert zudem, daß die Heimatgeschichtsforschung des moselländischen Raumes diesem Geschehen bisher nicht näher getreten war.“ (Heimatjahrbucharchiv Landkreis Vulkaneifel, 1980, S. 82 ff.)

Vielleicht erklärt diese historische Situation das fehlende Interesse der meisten Deutschen an Algerien, das profitorientierte Interesse der Auto- und Industriefirmen ausgenommen ?

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